Quelle: Neue Westfälische
Von Antje Althoff
Gent. Wie dicke Marsh-Mellow-Männchen sehen sie aus, die Damen und Herren in der dunklen Lagerhalle, mitten im Genter Industriegebiet. Eingeschnürt in weiße Schutzanzüge, die Atemmaske vor der Nase, den Bauhelm auf dem Kopf. Die Stimmung ist prima. Ähnlich einem Betriebsausflug. In drei Minuten steht hier alles in Flammen.
In dem rund tausend Quadratmeter großen Gebäude auf dem tristen Gelände nahe der belgischen Autobahn E17/R4 brennt's regelmäßig. Immer wenn Feuerwehrleute für den Ernstfall üben oder Brandschutz-Systeme auf ihre Tauglichkeit prüfen. Zweimal im Jahr darf das gemeine Volk zuschauen. So wie heute.
Gisbert Meurs, Versuchsleiter des FVLR, führt nonchalant durch die Veranstaltung. "Ich sag immer: Ein Toter ist ein Toter zu viel. Hätten alle ein ordentliches Brandschutzsystem im Haus, würde viel weniger passieren."
"Möge diese Übung gelingen"
Breitbeinig steht er auf einem drei mal drei Meter großen Haufen aus Holz, Kunststoff und Papier und instruiert seine Gäste. Bauherren, Architekten, Ingenieure, die in ganz Deutschland moderne Industrieparks, Hallen, Kinos oder multifunktionale Einkaufscenter entwerfen. Berücksichtigen müssen sie dabei vor allem eins: strenge Brandschutzauflagen. "Warum die wichtig, ja überlebenswichtig sind, das zeigen wir Ihnen jetzt", sagt Meurs und steigt vorsichtig von seinem kleinen Scheiterhaufen herunter.
"Möge diese Übung gelingen." Bennie Pauwels und Usta Engin schreiten zur Tat. Die beiden sind Brandstifter auf Bestellung. Ihre Waffe ist ein Bunsenbrenner - mindestens fünfmal so groß wie der aus dem Chemieunterricht. Das Publikum klatscht, ist guter Dinge. "Jetzt geht's lohoos." Der erste Versuch soll zeigen, wie sich Qualm ausbreitet, wenn Rauchabzugsanlage und Sprinkler installiert sind. "Gib dem man richtig Zunder!" Die Besucher drängeln sich um das rot-weiße Flatterband, das von der Gefahrenzone fernhält.
Fast feierlich stecken Bennie und Usta den mit Benzin angereicherten Müllberg an. Wie ein nettes Kaminfeuerchen sieht das aus. Es flackert hier, es flackert da. Wenige Sekunden später ist es vorbei mit der Gemütlichkeit. Meterhoch züngeln die Flammen, lösen nach gut einer Minute die Sprinkleranlage aus. Wasser prasselt herunter, macht den Qualm dichter.
Im Ernstfall können die Feuerwehrmänner nur schwer oder gar nicht den Brandherd lokalisieren.
Die Gespräche verstummen. Wie eine schwarze Decke senkt sich der Rauch langsam nieder. Nur wenige hält es jetzt noch in der ersten Reihe. Die Hitze beißt, macht die Augen trocken. Gisbert Meurs lässt das Feuer löschen und die Hallentore aufreißen. Allmählich finden alle die Orientierung wieder, atmen durch, lassen den Blick schweifen. Das Gebäude hat schon so manchen Brand mitgemacht. Die Wände sind schwarz vom Ruß, die Fenster größtenteils zerborsten.
80 Prozent der Brandunfallopfer sterben nicht an Verbrennungen, sondern durch Rauchvergiftung. "Denken Sie an die schlimmen Unglücke in Kaprun, im Tauerntunnel oder an die Brandkatastrophe im Düsseldorfer Flughafen", sagt Gisbert Meurs.
17 Menschen kamen hier im April 1996 ums Leben, Todesursache war ersticken. "Brandtote sind meist Rauchtote. Und das werden wir im nächsten Versuch noch eindrucksvoller demonstrieren." Für diesen Test gibt es überhaupt keine Schutzvorrichtung mehr.
Keine RWA, keine Sprinkleranlage, keine Rauchschürzen. Alle Fenster sind dicht, die Rauchabzugsluken geschlossen. Kaum ein Lichtstrahl dringt hinein, die weißen Schutzanzüge leuchten wie Glühwürmchen im Dunkeln. "Wie in einem großen Sarkophag", murmelt jemand. Im hinteren Teil der Halle ist eine Einkaufspassage aufgebaut. Provisorisch. Gisbert Meurs: "Stellen Sie sich vor, in einem Geschäft bricht ein Feuer aus."
Dasselbe Prozedere wie vorhin. Bennie, Usta, Bunsenbrenner, Feuer. Nur geht diesmal alles schneller. Im Nu peitschen dunkle Wolken aus der Ladenzeile hinein in die Lagerhalle. Anfangs leiten noch zwei Rauchschürzen den Qualm, kanalisieren ihn in eine Richtung. Dann werden sie hochgezogen.
Unkontrolliert und rasend schnell breiten sich die Rauchschwaden in der Halle aus. Von der zehn Meter hohen Decke ist nichts mehr zu sehen. Die Fenster sind aus dem Blickfeld verschwunden. Die schwarze Luft sackt tiefer und tiefer. Nur der helle Feuerschein ist zu sehen. Innerhalb von vier Minuten ist der gesamte Sauerstoff verbraucht. Einige husten.
Gisbert Meurs: "Im Ernstfall haben die Menschen nur drei Minuten Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Danach verlieren sie die Orientierung. Können Sie das nachempfinden?" Sie können. Vorbei sind die Witzchen, jeder kann sich in die lebensbedrohende Situation hineinversetzen.
Einige strecken die Hände in die Luft, um den Temperaturunterschied zu spüren - und ziehen sie schnell wieder herunter. Andere drängen zum Ausgang. Nur raus hier. Mit einem Ruck öffnen sich die Türen. Der Versuch ist zu Ende. Endlich.
Die weißen Anzüge haben einen gräulichen Schimmer bekommen, die Masken Abdrücke auf den Gesichtern hinterlassen. Das Sonnenlicht blendet. Es ist still. Die wenigsten wollen reden. Lieber schnell nach Hause. Nur Gisbert Meurs ist guter Dinge.
"Hat ja wieder mal geklappt." Er kann sicher sein, dass die Herren und Damen Architekten, Ingenieure und Planer bei ihren nächsten Entwürfen wissen, warum Brandschutzsysteme so wichtig sind.
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